Neue soziale Strategie beim Migros-Kulturprozent

Vier Fragen an Ramona Giarraputo, Migros-Kulturprozent

Im Zeichen der Veränderung

Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler formulierte 1950 gemeinsam mit seiner Frau Adele 15 Thesen. Sie wollten Allgemeininteresse höher stellen als das Migros-Genossenschafts-Interesse. Darauf beruft sich das Migros-Kulturprozent noch heute. Ramona Giarraputo leitet seit 2014 die Abteilung Soziales bei der Direktion Kultur und Soziales.

Ramona Giarraputo, Sie haben eine neue Strategie. Warum? Und mit welchem Ziel?

Die Gesellschaft verändert sich rasch, dementsprechend auch die sozialen Themen: Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel bringen einen grossen Umbruch mit sich. Deshalb überprüfen wir laufend, ob unsere Themen und Projekte noch aktuell sind. Wir verstehen uns als Impulsgeber. In der neuen Strategie gehen wir von übergeordneten Themen aus und formulieren sie breiter. Zum Beispiel sprechen wir nicht mehr nur von Migration, sondern vom Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft. Und es geht uns auch um Generationenbeziehungen und neue Familienmodelle. Ähnlich beim zivilgesellschaftlichen Engagement: Auch hier ist vieles in Bewegung. Darum haben wir beim Gottlieb Duttweiler Institute eine Studie zur Zukunft des zivilgesellschaftlichen Engagements in Auftrag gegeben, die zukunftsweisende Entwicklungen beschreibt. Damit leisten wir einen Beitrag zur Weiterentwicklung relevanter Gesellschaftsthemen.

Welche Überlegungen leiten Sie?

Für unsere Arbeit haben wir sechs Prinzipien definiert, zum Beispiel soziale Achtsamkeit, Partizipation und Vernetzung. Daran messen wir unsere Projekte. Zurzeit beschäftigen wir uns mit «sorgenden Gemeinschaften» oder «caring communities»: Wer kümmert sich in unserer individualisierten und fragmentierten Gesellschaft noch um andere – im Quartier, in der Nachbarschaft? Wie können wir bestehende Gemeinschaften konkret unterstützen? Und welche Fördermodelle können wir entwickeln, damit neue Gemeinschaften entstehen? Wir haben gemerkt, dass es in diesem Bereich schon zahlreiche Akteure gibt. Eine nationale Vernetzung ist deshalb sehr wichtig, und das gibt es noch nicht. Zudem ist es zentral, das Thema «caring communities» in einer breiten Anwendung zu verstehen, über alle Bereiche des Sozialen hinaus, auch für junge Menschen, nicht nur für das Thema Alter und palliative Care. Da braucht es noch einiges an öffentlichem Diskurs, um das Thema voranzutreiben, dass es bei den relevanten Akteuren ankommt.

Mit wem arbeiten Sie zusammen?

Kooperation ist für uns generell sehr wichtig. Als Beispiel nenne ich gerne unser Projekt Generationen im Museum, das wir neu auch in der italienischsprachigen Schweiz umsetzen. Hier arbeiten wir mit lokalen Museen im ganzen Land zusammen, um vielfältige Generationenbegegnungen zu ermöglichen. Und als weiteres Beispiel: In unserem Projekt «Service Learning» geht es darum, dass Kinder und Jugendliche in der Schule lernen, Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen. Das ist die Basis für das künftige zivilgesellschaftliche Engagement. In diesem Projekt arbeiten wir mit Schulen und Hochschulen zusammen. Wichtige Partner sind für uns Private, Stiftungen usw., aber auch die öffentliche Hand: Stellen des Bundes, etwa die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen, die Kantone und die Städte und Gemeinden. Sie sind es, die unsere Projekte nachhaltig implementieren.

Welche neuen Projekte möchten Sie gerne noch umsetzen?

Wegweisende Modellprojekte in allen Landesteilen, wo es eine gesellschaftliche Dringlichkeit gibt! Unsere Arbeit zielt darauf ab, den gesellschaftlichen Zusammenhang zu stärken. In den letzten zwei Jahren haben wir uns auf die Verbreitung der Projekte in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz konzentriert – dies immer unter starkem Einbezug lokaler und regionaler Akteure. Neue Projekte erarbeiten wir heute in verschiedenen Themenschwerpunkten: Kreativitätsförderung in der frühen Kindheit, Geflüchtete und Einheimische im Museum oder «caring communities», aber auch zum Thema Nachbarschaften oder «alleine im Alter».